Victor Jara
„Jetzt und in der Stunde unseres Todes”
im 40. Jahr seiner Ermordung
„Plegaria a un Labrador” – 40 Jahre sing ich dieses vielleicht berühmteste Lied Victor Jaras.
20 Jahre hab ich gebraucht, um endlich ins Wörterbuch zu schauen und herauszufinden, dass ihm die Nachdichterin einen falschen Titel gab. „Aufforderung an einen Bauern” nannte sie das, was in Wirklichkeit „Gebet an einen Bauern” heißt, und ließ uns damit den großartigen Gedanken dieses Liedes nicht erkennen, die wunderbare Vereinbarkeit der Aufforderung des Zum-Gewehr-Greifens im Kampf der chilenischen Bauern um ihre elementarsten Rechte und dem Enden des Liedes mit der Zeile des berühmten Rosenkranz-Gebetes „Jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen”. Es ging hier um „Theologie der Befreiung”, wie Ernesto Cardenal darüber sprach, aber es war auch Victors ureigenster Gedanke. Zwei Jahre hatte er Theologie studiert, bis ihn das Theater und die Musik auf ihre Seite zogen, ihn weltberühmt machten als Sänger, Komponist, Theaterregisseur. Darüber hinaus wichtig für sein Land als überzeugter Kommunist und Leiter der Künstlerabteilung der Kommunistischen Partei Chiles und für all das vom Gefolge des Augusto Pinochet am 12. September 1973 verhaftet und am 16. September 1973 mit 44 Schüssen ermordet.
Victors Leben begann am 28. September 1932 in dem Dorf Lonquén, in der Nähe von Santiago de Chile. Seine Eltern waren Landarbeiter – sein Vater Manuel, einfacher Hilfsarbeiter, Analphabet, Alkoholiker, brutal, ein Schläger, der Mutter und Kinder misshandelte. Nachdem er sie verlassen hatte, kümmerte sich Amanda alleine um sich und die drei Kinder, buk Brot für die Nachbarn, machte sich zu Fuß auf lange Wege, selbstgemachten Käse zu verkaufen. Und sie sang die alten Lieder, wenn im Dorf einer begraben wurde oder ein Kind geboren, oder geheiratet, eben, wo Lieder gebraucht wurden. Des Lesens und Schreibens kundig, war ihr wichtig, ihren Kindern Bildung zu verschaffen. Von ihr selbst lernte Victor das Beste der traditionellen chilenischen Folklore, lernte singen, und der Dorfschullehrer, den sie als Untermieter aufnahmen, brachte ihm die Gitarre bei.
Buchhalter sollte er werden, aber die Ausbildung dahin brach er ab nach dem Tod der Mutter, ebenso das schon erwähnte Theologiestudium. Der Glauben an die Religion, in der er lange eine Zuflucht gesehen hatte, war verloren, was deren Zwängen zur Verleugnung des Körpers und seiner Bedürfnisse geschuldet war. Später wird er seiner schönen Frau Joan sagen: ”Das einzige, woran ich glaube, ist die Wärme deiner Hand in meiner.” So brach sich seine von der Mutter gesäte Liebe zum Lied wieder Bahn, erweitert aber durch Interesse an darstellender Kunst. Er begann Schauspielerei in der Theaterschule der Universidad de Chile, später Regie zu studieren und entwickelte sich bis 1970 in vielen hochgelobten Theaterproduktionen zu einem der führenden Regisseure Chiles.
Aber da ist wieder das Lied, das ihn anzieht, nun wieder befördert von einer Mutter, der von Isabel und Angel, ihrer Bedeutung nach aber der Mutter des chilenischen Liedes Violeta Parra, oder einfach Violeta, wie die Latinos sie nennen. Die Peñas in ihrem Café Saõ Paulo werden seine Lied-Universität, seine Schule im Singen,Texten und Komponieren, immer in Achtung und Anlehnung an die reiche Folklore seines Landes und Kontinents. Wo konnte er das besser lernen als bei Violeta und wo konnte er sich selber besser ausprobieren, um einer der großen Vertreter der chilenischen Bewegung „Nueva Canción” zu werden oder Aktivist der ersten Festivals des politischen Liedes in Santiago. Ganz am Beginn seiner Karriere aber – ein Wort, das er kaum in den Mund genommen hätte – wird Violeta schon von ihm sagen „Er ist Chiles Volkssänger Nummer eins”. Das kommt von enormem Können, hinreißender Stimme, großem Fleiß, aber vor allem, weil das Volk in seinen Liedern ist. Die einfachen Leute sind es, die er so gut kennt, weil er von ihnen kommt und an deren Kämpfen er teilnimmt, vor und während der Unidad Popular, Sprachrohr von deren Hoffnungen und Teil ihrer bitteren Niederlage.
El cigarrito hieß sein erstes Lied, unpolitisch und lustig, wie viele chilenischen Volkslieder, Somos cinco mil, „Wir sind fünftausend” sollte sein letztes sein. Es blieb ein Gedicht.
Nach fünf Tagen Folter im Stadion von Santiago, gefangen dort mit 5000 anderen, konnte er nicht mehr komponieren, nicht mehr Gitarre spielen, da sie ihm die Hände gebrochen hatten.
Aber er sang noch, als der Soldat ihn aufforderte, er solle doch singen, wenn er ein Sänger sei.
Und er sang – die Hymne der Unidad Popular: Venceremos. Da fielen die Schüsse.
Gina Pietsch
(Erstgedruckt in UNSER BLATT, VVN-BdA 2013)