Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!
Bertolt Brecht zum 90. Jahrestag der Machtergreifung Hitlers
Kleine Ausschnitte aus einem großen antifaschistischen Leben
Ham Se jehört, det der Führer ausjerufen hat, det er keen Rittergut und keen Bankkonto nich besitzt? Ham Se nich jehört? Na, schade. Das steht in Brechts „Mies und Meck”-Texten, die vermutlich von John Heartfields Fotomontagen angeregt wurden und korrespondieren mit seinen Szenen aus „Furcht und Elend des dritten Reiches”. Man kann sich diese Haltungen auch gesungen vorstellen, als Choräle gar. Nehmen wir mal die siebente Strophe seines mit wunderbarer Melodie behafteten Hitler-Chorals, „Lobet den Herren, den allmächtigen König der Erde!” Die geht dann so:
Lobet den Führer, den jeder durch Mark und durch Bein spürt!
Dort ist der Sumpf
Und hier erwarten wir dumpf
Daß uns ein Führer hineinführt!
Das ist natürlich herrlich, wenn ich auch nicht weiß, ob jeder Christ das ähnlich empfindet. Brecht jedenfalls war eng mit Chorälen verbunden, konnte sie auswendig, war bibelfest wie wenige andere Dichter. Und Choräle sind in seinem Werk überall zu finden, mit Vorliebe den Figuren in den Mund gelegt, denen sie nach Meinung der Kirche eigentlich nicht anstehen. Einen ganz berühmten gibt es beim Dichter auf den Halbgott Baal, alles andere als eine Vorbildfigur für gut bürgerlich erzogene Menschen. Bei Hitler, der sich selbst zum Führer ernannte und sich gottgleich verehren ließ, passt das alles bis in Sprache, Gestus, Tonfall und Ausdruckselemente hervorragend, ein Messias, der das „blöde Volk” in der Hand hat und zu allem bringt, was sein krankes Hirn an Ungeheurem gebiert. Brecht hatte Hitler genauestens studiert, was literarische Gestalten hervorbringt, die an künstlerischer Höhe außer von Chaplin nie wieder erreicht wurden, den Arturo Ui als die Krönung, den Angelo Iberin in „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe” als Übungsstück davor.
Natürlich reicht Brecht die psycho- oder psychopathologische Hitler-Studie nicht. Dem antifaschistischen Marxisten Brecht geht es um die Analyse der Gesellschaft, die solche Figuren hervorbringt, ungebildet, aber größenwahnsinnig, sich für einen Kunstmaler haltend, deshalb von Brecht gern „Anstreicher” genannt, der zur Macht kam, nicht nur durch einen Staatsstreich, sondern auch auf gesetzmäßige Weise. Da stimmten viele für den Bekämpfer der Demokratie, weil sie Demokraten waren.
Warum? Brecht sagts in seinem kleinen Aufsatz „Unübersehbarkeit geschichtlicher Ereignisse” so: Die Kälber, unzufrieden mit ihren Scherern und Futtermeistern und Hütern, entschieden, nun einmal den Metzger ausprobieren zu wollen.
Das Bild mit dem Metzger und dem Kalb, ist häufig zu finden bei Brecht, am bekanntesten vielleicht in seiner Horst-Wessel-Lied-Persiflage „Der Kälbermarsch”.
Brecht schreckt nie zurück vor kabarettistischen Zuspitzungen auch bei den schlimmsten Themen der deutschen Geschichte nicht. Seine Meinung: Ein Theater, in dem man nicht lachen kann, ist ein Theater, über das man lachen muss.
Aber natürlich gehört ihm die Darstellung von Trauer und Leid genauso zu. Die 24 Szenen aus „Furcht und Elend des dritten Reiches” sind voll davon. Immer, wenn ich „Die jüdische Frau” sehe, besonders natürlich, wenn sie originär jüdisch von der großen Jüdin Helene Weigel gespielt wird, muss ich weinen. Brecht war kein Jude, aber von den Greueln, von denen die faschistische „Volksgemeinschaft” wenig weiß, weiß er genug.
Und freilich weiß er immer zu trennen, Hitler, seine Hintermänner und die deutsche Bevölkerung. Daß sie Deutschland sind, das ist die erste ihrer unverschämten Lügen, lesen wir in Brechts „Bericht über die Stellung der Deutschen im Exil” vom Jahre 1943. Und diese Lügen zeigen schlimme Nachwirkungen. Ich habe in einem Gespräch Brechts mit Jugendlichen in der Zeitschrift „Dionysos” vom Jahre 1948 folgendes gefunden:
Ich kenne die Ziffern der im Dritten Reich ermordeten Widerstandskämpfer. Sie sind riesig. Da sind mehr Leute gefallen als in Frankreich und Norwegen; da haben mehr Leute gekämpft als in den englischen und amerikanischen Heeren. Ich nenne die Ziffern, wo ich nur kann. Aber ich weiß auch, daß die überlebenden Kämpfer heute nicht wagen, von ihren Taten zu sprechen, aus Besorgnis, jetzt für Vaterlandsverräter erklärt zu werden. Davon zu reden, schäme ich mich ...
In Brechts Werk aber kommen diese Kämpfer immer zu Ehren. Schließe ich deshalb mit dem Ende seines großen Gedichts „An die Kämpfer in den Konzentrationslagern”.
Also seid ihr
Verschwunden, aber
Nicht vergessen
Niedergeknüppelt, aber
Nicht widerlegt
Zusammen mit allen unverbesserbar Weiterkämpfenden
Unbelehrbar auf der Wahrheit Beharrenden
Weiterhin die wahren
Führer Deutschlands
Gina Pietsch