„Brecht – Zeitgenosse?”
Es ist immer gut, Dinge, an die man sich gewöhnt hat, noch einmal abzufragen auf ihre Gültigkeit.
Für mich, die ich in der DDR aufgewachsen bin, war Brecht immer Zeitgenosse. Kennengelernt hab ich ihn in der Grundschule, als erstes das Gedicht „Die Vögel warten im Winter vor dem Fenster” mit der wunderschönen Zeile Sperling komm nach vorn, Sperling, hier ist dein Korn. Und besten Dank für die Arbeit.
Das „Einheitsfrontlied”, „Solidaritätslied”, „Bitten der Kinder”, „Aufbaulied der FDJ” und die „Kinderhymne” waren für uns Schullehrstoff.
Meine eigene Beschäftigung mit Brecht wurde durch meine Deutschlehrerin im Gymnasium angeregt und führte zum solistischen Singen während meines ersten Studiums in Leipzig innerhalb der dortigen Studentenbühne, die eifrig Brecht pflegte.
Zu dieser Zeit waren es vornehmlich die deutlich politisch orientierten Songs aus
Brechts Stücken „Die Mutter”, „Die Rundköpfe und die Spitzköpfe” und „Schweyk im Zweiten Weltkrieg”, also auch mehr Hanns Eisler-Kompositionen als Kurt Weill.
Brecht ist für mich der Dichter geblieben und hat meine gesamte Bühnenarbeit geprägt, seit meinem ersten Brecht-Abend 1982. Plätze, Brecht zu zeigen, gibt es immer noch, jedenfalls, wenn man nicht reich werden will. Er ist ja aktueller denn je und von der Zeit eingeholt worden, sicher zu seinem und gewiss meinem Leidwesen. Daraus erwachsen sind die Bedürfnisse nach künstlerischer Bestätigung von Unzufriedenheit mit Lebensverhältnissen, sprich, der größer werdenden Schere zwischen arm und reich. Die damit verbundene Zunahme von Neofaschismus ist deutlich spürbar.
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Gerade Brecht wird da wieder gebraucht, denn seine Faschismusreflexionen gehören sicher zu den prägnantesten, die die deutsche Literatur hervorgebracht hat. Und um nicht stehen zu bleiben bei der Historie, ist für uns und unser Publikum alles interessant, was sich mit heutiger Sprache und Gedankenwelt anschließt an die Fragen der Zeit. Und es gibt keine Frage der Zeit, die der Klassiker Brecht nicht in überragender, oft prophetischer Weise behandelt hat. Deshalb fiel es mir nie schwer, meine mittlerweile 19 Brecht-Abende mit diesem „gesellschaftlichem Gebrauchswert” auszustatten.
Hervorheben möchte ich aus Aktualitätsgründen drei Themen, die ich mit Brecht bearbeite und zusammen mit der Pianistin Christine Reumschüssel spiele.
Da am 14. August sein 60. Todestag ist und er die letzten neun Lebensjahre in der DDR arbeitete, ist mein neuster Abend dem Thema „Brecht und die DDR” gewidmet. Ich nenne ihn „Um uns selber müssen wir uns selber kümmern” – Brechtsche Binsenweisheit aus seinem kleinen „Aufbaulied der FDJ” von 1948 und doch Stein des Anstoßes und
Beginn dessen, was Brecht seine „Mühen der Ebenen” nannte. Während dieser schreibt
er, lehrt, inszeniert, organisiert, mischt sich ein in Politik, selten zur Freude der Herrschenden, macht Vorschläge, die hin und wieder angenommen werden, schafft ein neues Theater, das eine neue Gesellschaft befördern helfen soll und das Weltgeltung erzielt.
All das ist sehr bekannt. Weniger hingegen der Brecht, den wir als einen unserer Abende Zum Beispiel das Gras nennen, oder im Untertitel „der grüne Brecht”.
Warum dieses Thema?
Vom Ozonloch noch nichts wissend, wusste er schon von der Pflanze, Tier und Mensch fressenden Wirkung der Städte und eben auch, dass das Nicht-„Gespräch über Bäume” zum Verbrechen werden kann. Über 40 Jahre Schaffen zieht sich Brechts Beschäftigung mit der Natur in seinen Versen hin. Der Baum spielt dabei eine besondere Rolle, wird immer wieder aufgenommen, einschneidend die Kämpfe zeigend, die zwischen Natur und Industrie ausgefochten werden. Brecht und Natur, ein Thema, das fast immer unterschätzt wird. Das Klischee des „roten Didaktikers” scheint eine freundliche, dialektische, sprich grüne Sicht auf Natur auszuschließen. Die berühmte Ungeduld beim Betrachten der Natur wird als gegeben genommen und nicht als von Trauer getragener Kritik an der Zeit, die auf Erden ihm gegeben ward. Dass er die Gesellschaft nicht außen vorgelassen hat, wenn es um Naturbetrachtung geht, zeigt eine Haltung, ohne die heute keine grüne Politik zu machen ist.
Greife ich als drittes noch einen meiner Abende heraus: „Verjagt aus meinem Land” oder Brecht: Ich bin ein Ausländer. Hier ist er in besonders prophetischer Weise „Zeitgenosse” und hier hat er natürlich besonders viel Authentisches zu sagen. Wir alle wissen: Da er für die Emanzipation der Unteren schrieb, den Krieg hasste und mit einer Jüdin verheiratet war, trieben ihn die Nazis durch sieben Länder. 14 Jahre war er Ausländer und fühlte sich auch so. Anfangs, dicht an der deutschen Grenze, unterm „dänischen Strohdach”, rechnend mit einem schnellen Ende des Spuks, dann mit immer größeren Entfernungen zum Land seiner Sprache, zunehmend unglücklicher werdend, wird er im 13. Jahr des Exils die begehrte „Stadt der Engel”, L.A., als „Hölle der Enttäuschten” empfinden, wo der Verkauf aller Werte an erster Stelle steht.
Was jeder ins Exil Getriebene heute empfindet, in Brechts Texten steht es zu lesen. Und mit einer immensen Zahl unserer Fragen heute ist es genau so.
Gina Pietsch
(erstgedruckt in MÄRKISCHE ODERZEITUNG 30.02.2018)