Oktoberrevolution
Und das war im Oktober ...
Die Revolutionen sind Festtage der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Nie vermag die Volksmasse als ein so aktiver Schöpfer neuer gesellschafticher Zustände aufzutreten wie während der Revolution.
So Lenin.
Und wie recht hatte er damit vor allem in Bezug auf die Oktoberrevolution und die sie befördernde oder von ihr beförderten Kunst. Auf die weltverändernde Wirkung dieses Ereignisses vor 100 Jahren, sei hier verzichtet, da selbst bürgerliche Medien, wenn auch meist mit Hass und Verachtung, daran nicht vorbeikommen. Auch den Reichtum der sowjetischen Kultur in der Zeit, die heute gerne die der „Utopien” genannt wird, also zwischen 1917 und 29, als dann Stalin dieser großen Blüte in Musik, Dichtung, Theater, Film, Fotografie und bildender Kunst durch Instrumentalisierung, Gleichschaltung und Machtstabilisierung den Riegel vorschob und damit die großen revolutionären Ideale vieler Künstler und deren Nutzer in kleinlicher, spießiger, machtbesessener bis totalitäter Unterdrückung enden ließ. Lenin, dem bürgerlichen Kulturleben durchaus zugetan, wie allem, was die Bourgeoisie an Großem geschaffen hatte, war kein großer Freund des Proletkultes, hatte aber im Gegensatz zu Stalin als Intellektueller kaum Probleme mit Avantgarde und Moderne.
Wie den futuristischen Dichtern Tretjakow und Majakowski, den Komponisten Schostakowitsch, Prokofjew und Rachmaninow, dem Theatermacher Meyerhold, dem Filmemacher Eisenstein und den Avantgardisten Chagall, Kandinsky und Malewitsch, Bruchteil der großen Zahl bedeutender russisch-sowjetischer Künstler, eine „Revolution in der Kunst und eine Kunst in der Revolution” wichtig war, so war es Lenin auch. Und der unter seinen Genossen, den er am meisten schätzte, Trotzki, hatte gesagt: „Wenn wir die Kunst der Vergangenheit grundlos ablehnten, wären wir geistig auf einen Schlag ärmer. Wenn man eine Leere schafft, auf die neu aufgebaut wird, müssen wir vorher die vergangenen Erfahrungen verarbeitet haben, so, wie auch die besten Free-Jazz-Spieler über das Handwerkzeug der klassischen Musik verfügen müssen oder der abstrakte wilde Maler die Technik der alten Meister beherrschen sollte”. Denn es gab da viel Neues, die Erfindung des ersten Instruments, das elektronisch Töne erzeugte zum Beispiel, Vorläufer unseres Synthesizers, des Theremin, nach seinem Erfinder Leon Theremins genannt. Die „Appassionata” darauf gespielt, hätte Lenin vielleicht nicht an die Tränen gebracht, wie Gorki es in seinen Erinnerungen beschrieb, aber die ganz neuen Klänge hätten ihn vielleicht interessiert. Eine „Symphonie der Sirenen” hatte Arseni Avraamov 1922 komponiert, im Hafen von Baku und unter Mitwirkung sämtlicher Fabriksirenen, Schiffshörner der Kaspischen Flotte, Dampflokomotiven, Artillerie und Infanterie, nebst mehrerer Chöre.
Bleiben wir bei der „Russischen Avantgarde”. Revolution und Kunst befruchteten sich gegenseitig und der Konstruktivismus der russischen Künstler bereicherte die gesamte künstlerische Welt. Von der Fülle dessen, was da Teil der Revolution war, in enger Verbindung zwischen der Regierung der Bolschewiki und den Künstlern, seien die Plakatkünstler genannt. Sie hatten viele Möglichkeiten, ihre Plakate zu hängen. Die Schaufenster der durch Krieg und Bürgerkrieg entstandenen Engpässe zeigten leere Läden, die großen, witzigen, wichtigen, karikaturistischen, futuristischen, handgearbeiteten Plakate werteten sie auf. ROSTA-Fenster nannte sich diese Kunstrichtung, der Schaufenster wegen, und ROSTA als Abkürzung der Russischen Telegrafenagentur machte den ersten Teil des Namens aus. Schnell und einprägsam wie ein Telegramm wollte man sein, besonders für die vielen Analphabethen, die es in dieser Zeit noch gab. Bedeutende Künstler stellten ihr Können dafür zur Verfügung.
El Lissitzkys Plakat „Schlagt die Weißen mit dem roten Keil” wurde zur Ikone der politischen Plakatkunst. Majakowski, Lilian und Ossip Brik behandelten in bewundernswerter Weise alle möglichen Themen: den klauenden Kapitalisten, den Verbrecher hinter der Biedermann-Maske, die Weltrevolution, aber auch den Kampf gegen die Kartoffelfäule, die dem gequältem Land mit einer weiteren Hungersnot hätte schaden können. Hier war Kunst Agitation, und sie war sich dazu nicht zu schade, denn mit ihr konnten die Weißen geschlagen werden durch eine sich gegen 16 imperialistische Staaten verteidigenden Rote Armee, ein Sieg, der mit Panzern und Kanonen allein nie gelungen wäre.
Gina Pietsch
(erstgedruckt in UNSER BLATT, VVN-BdA September 2017)