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Die Kultur fängt da an, wo die Bankdirektors aufhören

Kurt Tucholsky zum 90. Todestag – Eine Hommage

Drei Tage vor Heiligabend, am 21. Dezember 1935 war es, dass der kleine dicke Berliner, der mit der Schreibmaschine die Katastrophe aufhalten wollte, wie Erich Kästner schreibt, seinem Leben ein Ende setzte. Einen kleinen aufgehörten Dichter und aufgehörten Deutschen hatte er selber sich schon ein Dutzend Jahre zuvor genannt, schwer verständlich für uns, da er zu diesem Zeitpunkt in Deutschland noch ein wirklich erfolgreicher Dichter und Publizist war.

Am 9. Januar 1890 wurde er geboren, in der Lübecker Straße 13 in Berlin-Moabit, als Sohn des betuchten, jüdischen Kaufmanns und Bankdirektors, Alex Tucholsky. Der geliebte Vater starb, als Kurt 15 war. Ein Schock, aber ein schönes Erbe für den kommenden Dichter, nämlich des Vaters Humor.

Als Dichter hatte er sich früh gefunden, wusste schon 1907, dass die Mächtigen mit moderner Kunst nichts anfangen können, dass diese Art, sich zu äußern, aber einen wichtigen Adressaten hat: Ich erlaube mir, auf die Existenz eines Proletariats aufmerksam zu machen. Erstaunlicher Satz für einen Jungen „aus gutem Hause”.

Liebhaber von Ideen

Mit 22 dann ein dichterischer Durchbruch, RHEINSBERG, ein Bilderbuch für Verliebte, das man heute wie damals mit Vergnügen liest, weil Liebe und Sehnsucht natürlich und witzig beschrieben. Kaspar Hauser nennt er sich übrigens, mit einem seiner vier Pseudo nyme. Kafka, der den jungen Tucholsky kennenlernte, lobt die „Einheitlichkeit seines Wesens”. Merkwürdig, da der Jüngere doch gerade mit seinen fünf Namen diese Ein heitlichkeit ordentlich aufzuspalten versuchte, in Peter Panter, den vornehmlich Pro saschreibenden, Theobald Tiger, den Lyriker, den bissigen, für die Politik zuständigen Ignaz Wrobel und den empfindsamen Kaspar Hauser. Warum ihm sein eigener, Kurt Tucholsky, nicht reichte, darüber streitet man sich. Er selber begründet es rein pragmatisch, die „Weltbühne” schützend, seine Zeitung, für die er pro Nummer immer mehrere Artikel schreibt, was „tucholskylastig” hätte anmuten können. Sein Biograf Fritz Rad datz freilich spricht von biografisch begründeten Identitätsverlust-Anzeichen. Irgendwie ein Externer sei er immer gewesen, als Abiturient, als Doktorand, als Familienmitglied, als Liebender, als politischer Mensch, alles immer ein bisschen halb, in der Praxis jedenfalls, aber, nun noch mal Raddatz: Er ist ein großer Liebhaber von Ideen. Die Idee Frau, die Idee Sozialismus, die Idee Revolution.

Bevor probiert wird, diese Ideen Realität werden zu lassen, kommt aber erst einmal der erste Weltkrieg, den die Deutschen anzetteln. Tucho verschlägt es nach Rumänien, von 1915 bis 18, nicht ins Trommelfeuer, aber zur Etappe, als Schreiber. „Soldaten sind Mörder” wird der Soldat Tucholsky da schreiben und einer der radikalsten Pazifisten, Offiziershasser und Kriegsverdammer werden. Und obendrein einer, der weiß, wenn wir nicht mehr wollen, dann gibt es nie wieder Krieg!

Wie sein Vorbild Heine ...

Das Thema wird eine große Rolle spielen in seinem Werk. Im Essay MILITARIA schreibt er: Werden wir ewig Vaterlandsliebe mit Patriotismus, Ordnung mit Kadavergehorsam, Pünktlichkeit mit Sklaverei, jedes Ding mit seiner Karikatur überbezahlen müssen? Aber 1919 schon schien das so. Und so rechnet er in seinem „Buch von der deutschen Schande” mal genauer ab mit diesem „Vaterland”:

Ermordet wurden Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Kurt Eisner, Leo Jogiches ... Die Liste kann beliebig verlängert werden. Für 314 Morde von rechts 3 Jahre Freiheitsstrafe, sowie eine lebenslängliche Festungshaft. Für 13 Morde von links 8 Todesurteile, 178 Jahre 10 Monate Freiheitsstrafe, das ist alles Mögliche. Justiz ist das nicht. Und Liebknecht. Käme heute wieder eine solche Gelegenheit – sie täten es noch einmal: sie würden schießen und ertränken und verheimlichen und stünden da als die Retter des Vaterlandes. Ihres Vaterlandes, denn unsres ist das nicht.

Seit den Revolutionstagen bis zu ihrer Selbstauflösung gehörte er der USPD an, später mit leichter Tuchfühlung zur KPD, sich nie als Kommunist fühlend, aber freilich den Kapitalismus für den Weltfeind Nr. 1 haltend. Und dass das Monopolkapital mit allem zu tun hatte, was er an Deutschland hasst, Krieg und Militarismus und Spießertum und Dummheit und Kadavergehorsam und Hundehalter und Bankdirektoren und, und, und ... dass die Kultur da anfängt, wo die Bankdirektors aufhören: bei der tätigen radikalen Politik, das ist für den Anti-Anti-Bolschewisten – wie er sich gerne nennt fast selbstverständlich. Seine Kultur ist am erfolgreichsten mit Satire, Satire, die nach seinem Verständnis immer auf Seiten der Opposition steht. Wir kämpfen allerdings mit Hass. Aber wir kämpfen aus Liebe für die Unterdrückten, die nicht immer notwendiger weise Proletarier sein müssen. Und wir lieben in den Menschen den Gedanken an Menschlichkeit.

Er hat den Berliner Dialekt über Glaßbrenner hinaus zu literarischem Rang erhoben, was wohl mit seiner Berlin-Liebe zusammenhängt. Das heißt: Er hat diese Stadt heiß geliebt und zunehmend heiß gehasst. Und wie sein Vorbild Heine wählt er Paris als neue Heimat, und wie Heine versucht er, das gegenseitige Verständnis von Deutschen und Franzosen zu fördern. Man ist in Europa ein Mal Staatsbürger und zweiundzwanzig Mal Ausländer: Wer weise ist: dreiundzwanzig Mal.

Er ist weise und er kann schreiben. Und er hat Korrespondentenverträge bei Weltbühne und Vossischer Zeitung, und so können seine zeitweiligen finanziellen Engpässe verschwinden, und er kann ausruhen – im Park Monceau – und rührend schreiben über die Mutti, ein Mutterlied, so schön, dass man sich wundert, wenn man von der gestörten Beziehung zu seiner eigenen Mutter hört. Aber freilich war das hier gar nicht gemünzt auf seine Mutter Doris Tucholski (übrigens mit i geschrieben). Die nämlich schob keine Töppe rüber. Die hatte eine Köchin. Und sie wird von Tucholsky und seinen beiden Geschwistern beschrie ben als Hausmegäre, schlimm für die Kinder, besonders nach dem Tode des Vaters. Doris Tucholski jedenfalls soll es, nach dem Urteil beinahe aller Biografen, dem Dichter unmög lich gemacht haben, auf die Dauer die Nähe einer Frau zu ertragen. Und es waren viele nach der Mutter, die Mary, die Gertrud, die Else, die Lisa, die Nuuna. Es waren immer mehrere parallel, ähnlich wie bei Brecht, aber Brecht liebte die, die schreiben und denken konnten. Tucholsky weniger.

Mary Gerold? 1917 begann es mit ihr. Sie die einzige, die er geliebt haben will, mit 1000 Widersprüchen freilich und am meisten aus der Ferne. Er nennt sie Meli, und Matz, und Malzen und Dicker und Er – sein Biograf Gerhard Zwerenz meint, weil er nicht in der Lage war, intellektuelle Fähigkeiten bei der Frau zu akzeptieren, ohne sie zu maskulinisieren. Er ist die einzige Frau, von der ich mir denken kann, dass sie mir ein Kind schenkt. Und im Gedicht schreibt er's so: Doch einmal, einmal sollst du leise kommen vom Er zum Du. Zu dieser Bitte hat er fast zwei Jahre gebraucht, trotz wissentlich lebens gefährlicher Umstände, in denen die Baltin schwebte. Als sie dann am 6. Januar 1920 allein am Bahnsteig steht in Berlin, braucht er nur eine Woche, um seine Liebe als eine steckengebliebene zu empfinden und zwischen sich und Mary eine Glaswand zu sehen. Und zehn Wochen später heiratet er die frühere Freundin Else Weil, die charmante, witzige Claire aus „Rheinsberg”, die Ärztin ist und 1942 in Auschwitz umkommt. Aber: Die Ehe mit Else scheint ihm ein Vierteljahr später als „kompletter Wahnsinn”. Die Frau war mir damals über – man hat das nicht gern, als Mann, gesteht er ein und will nun wieder Mary. Lisa Matthäus ist nicht nur das Urbild für Lottchen, sondern auch das seiner Lydia aus „Schloß Gripsholm”. Mit ihr lebt er nun in Hindas, 30 Kilomenter von Göteborg entfernt, wo ihm sein 2. „kleiner” Roman gelingt. Lisa gefällt das Buch gar nicht und sie wünscht ihm beim Abschied „von Herzen kein Glück”.

Widerständig und widersprüchlich

Nach Lisa kommt dann Nuuna, also von Tucholsky so genannt, die Züricher Ärztin Hed wig Müller, der er in seinen letzten drei Lebensjahren rund 250 Briefe schreibt, Briefe, deren Inhalt vielleicht wirklich nur eine Frau aushalten kann, die mit seinen Krankheiten, Hypochondrien und Traurigkeiten umgehen kann, die an die Stelle seines fehlenden Publi kums tritt, seine Geldnot ausgleicht und ihn anspruchslos und von Herzen liebt. Sie war eine aktiv wirkende linke Intellektuelle, Tucholsky also politisch sehr nahe. Als sie sich fanden, stand er schon auf der ersten Liste der Ausgebürgerten und hatte von dem Spruch gehört, mit dem die Studenten vor der Humboldt-Uni Berlin seine Bücher verbrannten: „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deut schen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky!” Natürlich ist er ein großer Gegner der Nazis. Und den Pazifismus, mit dem er aus Rumänien zurückgekommen war am Ende des 1. Weltkrieges, mag er spätestens nach Hitlers Einmarsch in Frankreich auch nicht mehr. Nichts als Pazifist sein – das ist ungefähr so, wie wenn ein Hautarzt sagt: ich bin gegen Pickel.

Trotzdem wird er seinem Freund Walter Hasenclever schreiben: Man muss die Lage so sehn, wie sie ist: unsere Sache hat verloren. Man siegt nicht mit negativen Ideen. Dann muss man als anständiger Mann abtreten. Das bedeutet dann in etwa fünf Jahren irgendeinen Krieg, geschrieben am 4. März 1933 und damit nur um ein Jahr verfehlt den Beginn des Großen Krieges, gegen den er nur den vagen Vorschlag hat: Man kann nämlich auch zu Hause bleiben.

Einen Negativen nennt er sich und ist doch immer auf der Suche nach positiven Ideen, die in seiner Zeit schwer zu finden waren, angesichts von misslungener Revolution und in Windeseile aufkommender Restauration. Widerständig und widersprüchlich ist er. Widerständig, solange er seinen Ekel an der Zeit und an Deutschland noch im Griff hat, da kann er auch schreiben. Aber nach Hitler legt er die Feder aus der Hand. Man kann nicht schreiben, wo man nur noch verachtet. Als widersprüchlich dürften das alle die empfunden haben, die von seiner Kunst Hilfe im Kampf gegen den Faschismus erwarteten. Aber er ist eben widersprüchlich, und sein Mut scheint zerrieben, seine Zuversicht verbraucht, sein Lebenssinn fehlt. Einmal schreibt er noch, nämlich als der von ihm bewunderte Knut Hamsun den im KZ schon fast zu Tode gequälten Carl von Ossietzky verhöhnt. Aber Tucholskys Artikel dagegen nimmt keiner an, er bleibt auf dem Tisch liegen, als er seinem Leben ein Ende setzte am 21. Dezember 1935. Ob Selbstmord oder die versehentlich zu hohe Dosierung der Barbiturate – man weiß es nicht. Liebenswert und wichtig seine Zweifel, seine Ahnungen, seine Prophetien. Er aber hat sie wohl nicht aushalten können. Ich habe Erfolg, aber ich habe keinerlei Wirkung, sagt er von sich. Und da, spätestens, wollen wir ihm widersprechen und erinnern an seinen großen Humor, mit dem er sogar seine Letzte Fahrt betrachten konnte mit diesen Worten: Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß! Ich schweige tief und bin mich endlich los.

Gina Pietsch

(erstgedruckt in Mitteilungen der Kommunistischen Plattform, Dezember 2025)

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