Kurt Weill
Gestern kündigte meine Zeitung, die junge Welt, eine Abendsendung im MDR zu Kurt Weills 120. Geburtstag an mit dem Satz: Der aus Dessau stammende Kurt Weill hatte Brecht nicht nötig – aber geholfen hat er doch.
Warum schreibt einer so was, frage ich mich.
Er muss viel über Weill wissen, was ich einen Satz später freilich schon wieder verneinen muss.
1935 mussten der Komponist und seine Frau Lotte Lenya emigrieren, stimmt nicht. Kurt Weill floh direkt nach der Machtübernahme Hitlers seiner jüdischen Abstammung wegen nach Frankreich und emigrierte 1935 in die Vereinigten Staaten. Auch Brecht tat das, wenn auch „nur” seine Frau Helene Weigel Jüdin war. Beide aber waren von Hitler ausgebürgert, und beiden waren die Tantiemen eingefroren, so dass sie, schon weltberühmt und nicht arm, nun nichts mehr galten.
Weltberühmt waren sie beide, vornehmlich erreicht das durch ihr gemeinsames Werk „Die Dreigroschenoper”, ergänzt das aber durch weitere 5 Werke innerhalb der kurzen Zeit von rund fünf Jahren.
1927 fing das an. Der streng im jüdischen Glauben erzogene Dessauer Kantors- und Religionslehrersohn Kurt Weill hatte Brechts außerordentlich atheistische erste große Gedichtsammlung „Hauspostille” in die Hände bekommen und fasziniert ausgerufen: Ein Dichter, ein wirklicher Dichter, mit kühnem Griff und wundervoller Einfühlungskraft. Mit genau dem wollte er arbeiten, ging deshalb zu „Schlichters” einem Promirestaurant in der Berliner Martin-Luther-Straße. Brecht nahm an, und man begann, gemeinsam am Mahagonny-Songspiel zu arbeiten, dem Werk, das vier Jahre später in der Umarbeitung als Oper den Anfang des Endes ihrer gemeinsamen Arbeit einläutete.
Ich betone gemeinsame Arbeit, weil, von Brechts Seite nur als von geholfen zu sprechen, zeugt von großer Unkenntnis der Arbeit dieses Teams. Richtig wäre gewesen, wie das der beste Weill-Kenner David Drews tut, von gegenseitigem Unverständnis zu sprechen in ästhetischen Fragen, viel mehr aber noch in konträren politischen Sichtweisen auf die gesellschaftlichen und politischen Dinge der Zeit. Nicht umsonst war Brecht über die nachfolgende Zusammenarbeit mit Eisler glücklich, denn sie beide gehörten wirklich zusammen, im Denken um die sozialen Fragen und in ihrer Haltung zu der Klasse, von der sie sich die Veränderung der Welt erhofften.
Beide also gingen nun ihren Weg, irgendwann beide in diesem Amerika, das sie in außerordentlich unterschiedlicher Weise kennenlernten, sehr erfolgreich wie Weill, wenig erfolgreich wie Brecht, letztendlich weil dem show business angepasst wie Weill, nicht anpassbar wie Brecht, also heimisch geworden wie Weill, fremd geblieben wie Brecht. Mir sind beide enorm wichtig. Mit meiner Tochter Frauke zusammen hatten wir an seinem Geburtstag, dem 2. März Premiere mit unserem Abend über Weill in Berlin, Paris und am Broadway, ein Abend über seine Kämpfe beim Sich-Einrichten in Leben und Kunst und über Spaß und Mühen beim Produzieren von Kunst und Leben – VON BRECHT BIS BROADWAY.
Gina Pietsch
(erstgedruckt in JUNGE WELT 2.4.2020)