Viktor Ullmann
Es muss also Herbst sein ...
...heißt ein Satz im Inselbüchlein Nr. 1 aus dem Jahre 1912, das zu den Heiligtümern in meiner Büchersammlung gehört – Rilkes „Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke”. Es ist noch das Original, leicht zerfleddert, aber lesbar, nicht nur Rilke, sondern auch die Anzeichnungen meines Vaters, der mit diesem Buch im Tornister, so, wie es der Mythos beschrieb, 1939 in den Krieg zog. Mein Vater, Antifaschist erst geworden, nachdem eine russische Ärztin ihm nach seinem Kopfdurchschuss das Leben rettete, war, bevor er Soldat wurde, Schauspieler. In russischer Kriegsgefangenschaft hat er es vor seinen Mitgefangenen oft gesprochen, aber später eben auch für mich, seine Tochter, und das so gut, dass mir vor aller Sprachschönheit Rilkes Verherrlichung des Kriegs-Heldentums gar nicht auffiel.Vor nicht allzu langer Zeit habe ich den „Cornet” wieder gehört, nun als Melodram, rezitiert auf eine wunderbare Musik. Und auch da war ich mehr gefangen von Rilkes Beschreibung der Liebe des Fahnenträgers zu einer jungen Frau und der Trauer einer alten, die den Tod ihres Sohnes beweint. Der Komponist Viktor Ullmann hatte mir meine lebenslange Rilke-Verehrung zurückgegeben.
Wer war nun dieser Viktor Ullmann?
Er wurde 1898, am 1. Januar als Sohn eines österreichischen Stabsoffiziers adliger, jüdischer Herkunft im schlesischen Teschen geboren. Seine gute humanistische Ausbildung in Wien, Klavier-und Kompositionsunterricht, u.a. bei Arnold Schönberg, lassen eine musikalische Karriere versprechen. Mit Schönbergs Empfehlungen werden Dirigenten- und Kapellmeisterstellen an wichtigen Bühnen Prags, Wiens und Zürich möglich. Ullmann macht auf sich aufmerksam mit seiner Interpretation avantgardistischer Werke von Ernst Krenek, Richard Strauss und immer wieder Schönberg. Als Komponist ist er außerordentlich erfolgreich. Seine „Schönberg-Variationen" werden gefeiert beim Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Genf. Bis zur Machtergreifung der Nazis hat sein Werk bereits die Opuszahl 41 erreicht, von dem allerdings der größte Teil verschollen ist.
Nun unterbricht er seine Arbeit an der Oper Peer Gynt nach Ibsen. Er wird Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft und übernimmt in Stuttgart die der Gesellschaft nahestehende Novalis-Bücherstube. Angeregt zu diesen Philosophien hatte ihn in Prag sein zweiter großer Lehrer Alois Hába, der als Meister der Mikrointervalle gilt und ein entschiedener Verfechter der Theorien Rudolf Steiners war. Nach Prag wird Ullmann zurückkehren, da für ihn als Jude Stuttgart gefährlich wurde.
Bis zur Besetzung Prags durch die Nazis kann er dort arbeiten als Professor, Musikkritiker und Komponist: er wird 1934 durch die Universal-Edition mit dem Emil-Hertzka-Preis ausgezeichnet, der an namhafte Komponisten der avantgardistischen Musik, wie u.a. Anton Webern, verliehen wurde. Jetzt im März 39, hätte er fliehen müssen, aber es gelang ihm nicht, Prag zu verlassen. Die Nürnberger Rassengesetze bewirken, dass er alle Bürgerrechte verliert, alle seine Kompositionen verboten bekommt. Dass seine 1. Klaviersonate 1941 beim Musikfest der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in New York aufgeführt wird, rettet ihn nicht. Im Jahr darauf erfolgt die Deportation nach Theresienstadt, 2 Jahre später, am 18. Oktober 44 die Ermordung in der Auschwitzer Gaskammer.
So pervers es anmutet, in den 2 Theresienstädter Jahren, in denen er schnell verantwortlich wird für Freizeitgestaltung der Häftlinge im Lager, also Konzerte und Vorträge organisiert, bringt er es fertig, 16 Werke zu komponieren. So wie die 15 Drucke seiner im Selbstverlag herausgegebenen, zwischen 1936 und 42 entstandenen Kompositionen, blieb auch sein Theresienstädter Nachlass beinah vollständig erhalten. Das sind Chorwerke, Liederzyklen nach Goethe, Hölderlin, Wedekind, Klaviersonaten, das 3. Streichquartett, die Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis” und das o.g. Melodram nach Rilkes „Cornet”.
Am 28. September 1944, im Herbst also, kurz vor seiner Ermordung, erlebte er im Lager Theresienstadt die Uraufführung dieses, am 12. Juli fertiggestellten Werkes. Nur wenig andere Uraufführungen seiner Werke hat er selber erlebt, und auch wir mussten lange warten, bis uns hör- und sehbar wurde, was seiner Feder entsprang. Die Uraufführung des „Kaisers von Atlantis” ga es 1975 in Amsterdam als Bearbeitung und weitgehend original 1989 in der Neuköllner Oper. Da Ullmanns Rilke-Melodram von ihm selber in Orchester- und Klavierfassung notiert ist, ist uns öfter möglich, es zu hören. Bleibt aber immer noch das Riesenwerk eines jüdischen Komponisten, der zu groß, ergreifend und sensibel ist, als dass er vergessen werden könnte. Also – ehrt ihn und hört ihn.
Gina Pietsch
(Erstgedruckt in UNSER BLATT, VVN-BdA 2.7.2014)