Erwin Schulhoff
Die Bassnachtigall und andere Vögel
Eine musikalisch-literarische Nachlese zu Erwin Schulhoff
mit Texten von Brecht, Hoddis, Klabund, Ringelnatz, Stein, Tucholsky, Worms
und Kompositionen von Eisler, Henning, Schulhoff, Weill
Als ich 1974 singender Weise am Pressefest der Humanité in Paris teilnehmen durfte, sah ich an einem Stand der KPF Yves Montand mit einem Button auf der Brust „Je suis Communist”. Er war nicht die einzige Berühmtheit, die so was trug. Auf Marina Vladys schönem Busen sah es noch imposanter aus. Ich fand das bemerkenswert, unser französischer Dolmetscher nicht. Die Mehrzahl der berühmten Leute dachte damals links und zeigte es. Und das hatte Tradition. Wenn man 40 Jahre zurückging, oder besser 39, ins Jahr der Bücherverbrennungen in Deutschland, konnte man aus den überlangen Listen der verbrannten, „entarteten” Dichter und Denker, und den dann noch längeren Listen der in KZs ermordeten oder ins Exil Vertriebenen auf Ähnliches schließen, immer verbunden mit der Aufgabe, derer zu gedenken. Dieses „links” nun ist ein weites Feld, die Zahl der Opfer dieser menschenunwürdigen Nazidiktatur schier unübersehbar. Ergo müssen wir uns konzentrieren auf ein paar Namen, die nämlich oben Genannten &–; Autoren von Musiken, besonders Liedern. Die meisten kennt man. Aber wer ist Erwin Schuhoff? Die Macher rechneten mit der Frage. Und so entstand „Die Bassnachtigall und andere Vögel”.
Als Jude 1894 in Prag geboren, gehört Erwin Schulhoff zu jenen Komponisten, die in Vergessenheit geraten sind, obwohl sie eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Musikgeschichte einnahmen. Mit zehn Jahren konnte er auf Empfehlung von Antonin Dvorak bereits ins Prager Konservatorium eintreten. Wie Franz Kafka nach Berlin umgezogen, später nach Leipzig, Wien und Dresden, wo seine Wohnung zum Treffpunkt der Dada Bewegung wurde, starb er an Unterernährung, Erschöpfung und Tuberkulose im Lager Wülzburg bei Weißenburg in Bayern am 18. August 1942, kurz nachdem die Wehrmacht das Land überfiel, dessen Staatsbürger er geworden war, die Sowjetunion.
Mit ihm verlor die Neue Musik eine ihrer experimentierfreudigsten und radikalsten Persönlichkeiten. Dem Jazz nahestehend, komponierte er neben anderen Werken, seiner Hinwendung zum sozialistischen Realismus entsprechend, das Kommunistische Manifest und seine „Bassnachtigall”, ein Solostück für das imposante Kontrafagott, das Elisabeth Böhm-Christl an diesem Abend spielt, ergänzt von Schulhoffs kabarettistischer Beschimpfung der „intellektuellen Hornbrillenträger”. Es ist nicht das einzig Kabarettistische an diesem Abend. Es gibt da ja noch die versprochenen „anderen Vögel” – sprich Zeitgenossen des Erwin Schulhoff. Es sind meist bekanntere als er, mit einem weniger schweren Schicksal behaftet und doch durch die Bank von den Nazis vertrieben oder verbrannt, oder ausgebürgert, oder auf schwarze Listen gesetzt oder als entartet erklärt oder oder oder.
Da ist der großartige Expressionist Jakob von Hoddis, berühmt geworden mit seinem Gedicht „Weltende” und damit vermeintlich voraussehend sein eigenes, das ihm die Nazis in Sobibor bereiteten. Da sind neben dem traurigen, langnasigen, sich für unpolitisch haltenden Maler-Kabarettisten Ringelnatz Bertolt Brecht, Hardy Worms und Gertrude Stein zu hören. Und aus der ungeheuer großen Zahl der dichterischen Berliner Vögel Kurt Tucholsky und Klabund. Beide verbindet viel, erklärte Kriegsgegner sind sie, und beide mit großen Verdiensten für die in Deutschland nicht immer hochgeehrte Komik in den Gedichten. Tucholsky, der es wissen muss:
„Die Mühe, die es macht, der deutschen Sprache ein Chanson – und noch gar eins für den Vortrag – abzuringen, ist umgekehrt proportional zur Geltung dieser Dinge.”
Freilich bedarf es denn auch eines entsprechenden Komponisten. Den gibt es, Bardo Henning, heute in Berlin lebend und selber präsent am Flügel, umgeben und unterstützt von zwei gestandenen Interpretinnen, die schon genannte Fagottistin Elisabeth Böhm-Christl und die Sängerin und Schauspielerin Gina Pietsch.
Gina Pietsch
(Erstdruck in UNSER BLATT, VVN-BdA Mai 2012)