Gundi
Gerhard Gundermann, geboren am 21. Februar 1955 in Weimar, gestorben am 21. Juni 1998 in Spreetal, DDR-Lieder-Macher, Rocker und Baggerfahrer in Schwarze Pumpe, in der Braunkohle und nun also, wenn er es geschafft hätte, Rentner.
Aber fange ich vorher an:
Mein erster von 35 Brecht-Abenden, gemeinsam mit Stefan Körbel, war mit seinem Thema Gegeneinander-Miteinander-Füreinander so etwas wie ein Bündnis-Projekt zwischen Freund-Freund, Freund-Feind, Alt-Jung, Mann-Frau.
Die eigentliche Premiere fand 1982 im Jugendklub in Hoyerswerda statt. Der von uns allen geliebte Gundi, also Gerhard Gundermann, hatte den mal mitgegründet, gedacht für die jungen Arbeiter des „Gaskombinats Schwarze Pumpe” bei Spremberg in der Niederlausitz, und wir spielten gerne dort, weil es da immer voll war, egal, ob du mit oder ohne intellektuellem Anspruch kamst.
So also dann noch mal am 20. Mai 1988.
Einer von Gundis Pumpe-Kollegen – ein Lehrling, schien mir – kommt anschließend in meine Garderobe und sagt mir im schönsten Hoywoyer Sächsisch:
„Dos hat mir guht gefolln. Oaber, do habsch ma noch ne Frohre: worum heisstn doas eischentlisch „Brescht-Obnd”?”
So ungefähr klang das.
Und auf meine lapidare Antwort: „Na, weil das von Brecht war,” der staunende Nachsatz: „No, dos wor doch aba schoin.”
Tja, der sich an dem Abend so wunderbar wundern konnte, war schon in Gundis Schule gegangen. Er konnte sich ebenso freuen, war ebenso neugierig, ebenso wissbegierig, ebenso offenherzig. Aber eben nur ebenso.
Schon vor seinem Tod, aber besonders danach ist nun viel über Gundi geschrieben und erzählt worden, in Buchstaben und Bildern, gefilmt von Leuten, die es besonders gut können, wie Andreas Dresen. Es kennen ihn nun mehr Menschen als 1982, aber immer noch nicht so viele, wie ich mir wünsche. Bleibe ich also bei Gundi, gerade, weil wir ihn nicht mehr haben.
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In einem Buch von Hans-Dieter Schütt antwortete er auf die Frage Welches Kunstwerk hast du nie verstanden?: Aber immer geliebt: Gina Pietsch.
Darüber habe ich wochenlang nachgegrübelt, das natürlich mit Rührung, weil, dass wir uns mochten, wusste ich, von Liebe war freilich bis dato nicht die Rede. Aber warum „nie verstanden”? Wir kannten doch beinah alles voneinander, jedenfalls, was wir so auf der Bühne machten. Nun, egal, ich bekomme meine Frage nicht mehr beantwortet, er ist ja nicht mehr da. Für mich jedenfalls war Gundi so sehr etwas Besonderes, dass es mir einmal richtig auf die Nerven ging, ein mir unerträglich gemachtes Vorbild. In Dresden war das, 1982, zur Werkstatt „Lieder und Theater”. Dort lief eine der Vorstellungen mit unserem schon genannten Brecht-Abend mit dem überlangen Titel „Der Mond war auch nicht zu vermeiden – Rudern, Gespräche mit Brecht”. Über den wurde gesprochen, solange, bis Gundi kam, mit den „Feuersteinen” und – veni vidi vici – sämtliche Kultur-, Theater-, Musik- und andere Wissenschaftler zum Schwärmen brachte. Wir Macher hatten ihn alle schon vorher geliebt, aber die ihn eben erst jetzt entdeckt. Wissenschaftliche Quintessenz ergo: Wer von uns nicht im Tagebau tätig war, konnte eigentlich auch nichts Richtiges auf der Bühne zustande bringen, zumindest nichts „Authentisches”, wie das neue Schlagwort von nun an hieß. Ähnlichen Blödsinn hätte Gundi von uns nie verlangt, von sich selber schon, wie wir alle wissen, bis in seine letzten Lebensstunden.
Ich habe lang geweint bei seinem Tode und war heilfroh, bei einer Feier für ihn in Frankfurt/Oder ein wenig von meinem Schmerz öffentlich sagen zu können.
Bis dahin war Gundi für mich meist mit Lachen verbunden. Er konnte so wunderbar laut und herzlich lachen. Bei unserem letzten gemeinsamen Wochenende zu Verleihung des Liederpreises des Südwestfunks am Bodensee, wo ich mit Hannes Zerbe und er mit „Seilschaft” sang, haben wir nach dem Konzert die ganze Nacht Geschichten erzählt und Witze und durchgelacht, er ohne jeden Alkohol. Natürlich waren seine Geschichten die besten. Seine Lieder waren es für mich ohnehin. Gab es in seinen Anfangsjahren für mich noch zwei bis drei ähnlich geliebte Leute, hatte er sie dann alle überholt oder, bei Degenhardt sag ich dann, erreicht. Den selben Effekt habe ich übrigens noch bei mindestens zwei meiner klugen Freunde erlebt, dem Regisseur Klaus Tews und meiner damals besten Freundin, der Schauspielerin Anne-Else Paetzold. Die beiden kannten zunächst nicht mal seinen Namen, und schon am zweiten Abend mit Wein und seinen Liedern war er der King. Meine Anne-Else hielt es dann beim nächsten Live-Konzert nicht mal auf ihrem Platz aus. Auf ihr Drängen hin mussten wir uns vorn an die Bühne stellen und mitsingen, wie die Groupies. Und wir waren damals so alt, wie er heute wäre!
Das war alles schon nach der Wende. Vorher, ich glaub, im letzten Jahr davor, war er auf den Frankfurter Chansontagen zum Kampfobjekt geworden. Ich war mit in der Jury. Wir waren anfangs nur ein paar, die ihn zum Goldmedaillenträger machen wollten, was gar nicht so einfach war. Er war zum ersten Mal da. Und bei den Liedermachern, die Frankfurt sonst frequentierten, war die Zeit der Sensibelchen angesagt, der Suche nach sich, immer innen drin.
Das nun hatte Gundi sowieso, bloß war er schon wieder ein Stück weiter, bei unserem „erfahrenen Planeten” nämlich, den wir „zur Sau machen”. Das war harter Tobak damals. Und das von einem, der schon aus der Partei geflogen war. Wir haben geredet wie die Bücher. Und es hat geklappt. Unsere Hoffnung, ihn nach vier weiteren CDs mit guten Musikern in der öffentlichen Wertung dort zu sehen, wo er seiner Qualität wegen hingehört, ganz oben hin, an die Spitze, mindestens neben Grönemeyer, diese Hoffnung ist nicht aufgegangen, wohl nicht nur durch diesen ungerecht frühen Tod bedingt. Ich fand, er war der Beste, so sehr, dass ich, nachdem er nicht mehr ist, Projekte die er mir nachdichten wollte, aufgegeben habe, die Piaf, z. B. Und doch kann ich mir den Baggerführer Gundi nicht als Star vorstellen. Ein Star hat und braucht keinen Bagger. Und wenn er betonte, dass er ihn braucht, müssen wir das glauben. Seine Lieder sind der Beweis.
Die Stasi wusste das. Davon erfuhren wir durch Dresens wunderbaren Film. Wie spät, aber dass er sich geoutet hatte bei seinen Kollegen am Bagger und auf der Bühne, zeigte Dresen eindrucksvoll. Ich geb zu, drei statt der sechs – oder wie vielen – takes dazu hätten mir genügt. Aber ich habs nicht übel genommen, es war eben wirklich Gundi. Er war da nicht mit fliegenden Fahnen eingetreten, schon gar nicht aus Karrieregründen, so was gab es bei ihm nicht, hat dann aber seine „Arbeit” gemacht, wie bei allen seinen Arbeiten, mit dem Bagger oder mit der Klampfe.
Ob Gundi seine Stasi-Sieglinde aus dem herzerwärmenden Lied, über das zu lachen ich gar nicht aufhören konnte, dort kennengelernt hatte, keine Ahnung. Jedenfalls war schon hier zu erkennen, dass er wusste, dass sein/mein Ländchen Sicherheitsleute genauso brauchte, wie jeder andere Staat in der Welt. Schöner wurden sie freilich dadurch, dass so ein liebenswerter Kerl wie er bei ihnen diente, auch nicht. Aber was für ein wichtiges filmisches Gegengewicht zu der Masse der mageren, drögen, falschen bis ekelhaften, meist westlichen „Leben”s-Darstellungen „der Anderen”. Das hat Dresen gezeigt, kritisiert dafür von meinem Blättchen, der jungen Welt, was ich als unverdient empfand.
Komm ich von Dresens Film, der ja mittlerweile nicht der einzige ist, zurück zu seinen Liedern:
Beim Konzert zu seinem 10. Todestag in der Olympiahalle mit rund 4000 Leuten wurden die von einer Vielzahl von Bands und Solisten gespielten Lieder von diesem Riesensaal mit jedem einzelnen Wort mitgesungen. Das hat selbst mich, die ich ihn immer liebte und jedes Lied kann, überrascht.
Denn, dass er über die CDs hinaus häufig in den Medien läuft, kann ja nun keiner behaupten. Die Lieder waren immer und sind immer noch kein Mainstream, aber sie werden gebraucht, weil sie Spiegel unseres damaligen Lebens sind, Trauerarbeit für nicht wenige, weil dieses vorbei ist, ja Kunst.
Halt, beim letzten Wort fuhr mir Gundis Frau Conny schon mal über den Mund. „Wir wollten gar keine Kunst machen”, sagte sie und hatte recht, denn sie machte ja keine. Beim ihm allerdings spielte es keine Rolle, ob er wollte oder nicht. Es wurde eben welche, wunderbare Komik, wenn er den Obdachlosen im Lied „Niemandsland” alles sammeln läst, was nur irgendwie noch gebraucht werden kann, Schrauben, die sich beim Bau von ner Laube selber reindrehen, alte Fahrräder, die abheben und Dich wieder foreverever young werden lassen, und überhaupt: Was man wirklich nicht mehr essen kann, das lässt sich doch noch rauchen.
Das gegen die Wegwerfgesellschaft, die wir nicht kannten und das für Solidarität mit den Untersten, die immer mehr werden in diesem reichen Land. Nichts dabei erzählt Gundi heulerisch, was ihm auch keiner abnähme von „seinen” Leuten. Denn Gundi kommt ja eben wirklich von denen aus der Grube Brigitte, die nun pleite ist. Und er spricht deren Sprache, echt, ehrlich, witzig und zu Tränen rührend, von unten, aber mit marxistischer Durchsicht, Herzenswärme und ausgefeiltester Sprache, eben Kunst. Alles das hat natürlich mit seinem Bagger zu tun, von dem er nicht runter wollte, auch nicht zu Zeiten der schon vielen Konzerte mit „Seilschaft”. Da ist er gegen drei Uhr nachts zu Hause und um sechs wieder auf dem Bagger. Meine Warnung, Gundi, das kannst Du doch nicht ewig durchhalten, wischt er vom Tisch mit dem unschlagbaren Argument: „Wenn ich vom Bagger runtergehe, kann ich nicht mehr schreiben.”
Nun fehlt er ganz, aber wir haben die Lieder.
Gina Pietsch
(erstgedruckt im Juli 2020 in MITTEILUNGEN DER KOMMUNISTISCHEN PLATTFORM)