Heinrich Heines Lebensfahrt
Eine Hommage zu seinem 225. Geburtstag von Gina Pietsch
Es gibt doch glückliche Naturen, denn dieses feste Insichruhen ist ein Glück, ein großes Glück. Ich habe es nie gehabt. Ich habe immer die ganze Vergangenheit, die ganze Gegenwart und die ganze Zukunft vor mir und auf dem Halse gefühlt.
Heines „Lebensfahrt” ist turbulent, seine „Reisebilder” sind umfassend und aufregend und nicht selten unter Zwang entstanden. Seine Liebe zu Frauen und zu Deutschland war allumfassend und selten erwidert. Seine Traurigkeiten sind zahllos.
Er war der erste große deutsche Schriftsteller jüdischer Herkunft, der 100 Jahre vor dem Ereignis auf dem Berliner Bebelplatz voraussah, dass, wer Bücher verbrennt, dasselbe mit Menschen tun wird. Sein Name steht für Kunst und Courage, Schönheit und Wahrheit, Witz und Traurigkeit, Aufklärung und Toleranz und, wie er selber sagt, die Parthey der Blumen und Nachtigallen.
Am 13. Dezember 1797 wurde er geboren, an den Ufern jenes schönen Stromes, wo auf grünen Bergen die Thorheit wächst und im Herbste gepflückt, gekeltert, in Fässer gegossen und ins Ausland geschickt wird. Und begraben liegt er auf dem Kirchhofe des Montmartre, seit Februar 1856, dort, wo er begraben werden wollte, weil, wie er sagt: unter der Bevölkerung des Faubourgh Montmartre habe ich mein liebstes Leben gelebt.
Das war nicht immer so: Anfangs wollt ich fast verzagen, schreibt er in seinem Gedichtzyklus „Junge Leiden” 1821, von dem viel entstand in der ersten Großstadt seines Lebens, in der Hauptstadt aller Lügen ..., wo er sich, sobald sich die Mäuler öffnen, angeschrieen glaubt Gieb mir all dein Geld, wo aber mancher da herumläuft, der noch nicht weiß, wo er heute zu Mittag essen kann. Die Rede ist von Berlin, wo er sich an der Universität, der besten der Welt, wie man damals sagte, eingeschrieben hatte für das Studium der Rechte. Es war die 3. Station nach den Unis in Bonn und Göttingen. Da hatte er eine Reihe seiner „Jungen Leiden” bereits hinter sich, Duellaffären, Syphilosen, Außenseitererfahrungen wegen Aufmüpfigkeit und Judentum. Der erste Liebeskummer tut das Übrige, überdeckt aber nur scheinbar die Schmerzen, die der politischen Grundstimmung jener Jahre zwischen 1815 und 1830, also zwischen Wiener Kongress und Julirevolution, geschuldet sind. Die deutschen Wolken waren noch grauer geworden, die Nachtigallen verstummten, dagegen bellten die Hunde weit lauter – die Eichen rauschten sehr kleinmütig, die Rosen sahen aus, als hätten sie Schnupfen, alles Leben schien auf immer versumpft – überall Stagnation, Lethargie und Gähnen.
Ein grämliches Krämergeschäft
Ergo: Heine war umtriebig. Vor den Bonner, Göttinger und Berliner Jurastudien, Schüler an Düsseldorfer Gymnasien und Handelsschulen, in Frankfurt und Hamburg Lehrling in Bankhäusern und Möchtegern-Händler im eigenen kleinen Laden „Harry Heine et Comp.”, den ihm der Kaufmanns-Vater Samson Heine einrichtete. Was er lernte, könnte trotz der großen Liebe zu seinem schönen Vater zusammengefasst so heißen: Der Kaufmann hat in der ganzen Welt dieselbe Religion. Sein Komptoir ist seine Kirche, sein Schreibpult ist sein Betstuhl, sein Memorial ist seine Bibel, sein Warenlager ist sein Allerheiligstes, die Börsenglocke ist seine Betglocke, sein Gold ist sein Gott, der Credit ist sein Glauben.
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Vorbild für die hier beschriebene Krämerseele ist jedoch nicht der Vater, sondern der Onkel, der Hamburger Bankier Salomon Heine, der bei seinem Tode immerhin 30 Millionen Francs schwer war. Der Neffe erbte davon ein Dreihundertstel, was immer noch reichlich war, von Heine aber nicht als solches empfunden wurde.
Zwischen Onkel und Neffe fand ein ewiger Kampf statt, den der Dichter sah als den Kampf zwischen Geldsack und Genius, schlimmer noch, Genius mit falscher Ausrichtung, oder, wie er's ausdrückt: Mein Leben ist ein grämliches Krämergeschäft geworden.
Dieser Satz hat die Legende vom armen Dichter befördert, der er zu keiner Zeit wirklich war. Heine lernte schnell die nötigen Kniffe zur Vermarktung seiner literarischen Produktion.
Normal, könnte man heute sagen, ungewöhnlich aber in einer Zeit, da es den Beruf des freien Schriftstellers noch gar nicht gab.
Heine wurde es, und zwar so, dass er vom Ertrag seiner Feder gut bis sehr gut leben konnte, und das, ohne sein Kunstideal an den Markt zu verraten, obendrein in Zeiten verschärfter Pressezensur. Er kannte sie gut, seine Kollegen und deren Ängste, und er wusste aus eigener schmerzvoller Erfahrung, wie die Außenzensur des Staates die innere in den Verlagen und die innerste im eigenen Kopf nach sich zieht, was zum Gedankenkindermord aus Angst vor dem Richtschwert des Censors führen kann, wie er es plastisch beschreibt. Bei ihm betraf das zuerst die satirische Prosa der „Reisebilder” besonders den „Le Grand” mit der schönen Seite, wo alles gestrichen ist bis auf die Worte Die deutschen Censoren ... Dummköpfe.
Aus seinen großen Schmerzen die kleinen Lieder
Am „Buch der Lieder” geht die Zensur erst einmal vorbei, und es wird zu einer der erfolgreichsten Lyriksammlungen der Weltliteratur überhaupt. Kein Wunder, denn die Liebesschmerzen des jungen Heine sind allemal heutig.
Diese übrigens löst zunächst Amalie aus, die Tochter des Millionärsonkels Salomon Heine, also seine Cousine, übrigens Molly genannt. Nach der Molly-Liebe kam Mathilde, die auch nicht so hieß. Und die letzte Liebe seines Lebens, Elise Krienitz, muss sich den französischen Namen „Mouche” gefallen lassen, was Fliege bedeutet, nicht unbedingt ein schöner Kosename für die angehende Schriftstellerin, also erstmals eine gebildete Geliebte.
Ob die Mouche ihn eigentlich liebte, den zwar Gefeierten aber Todkranken in seiner Matratzengruft, der weder kauen noch kacken konnte, wie er selber beschreibt? Wir wissen es nicht. Die stattliche Molly der frühen Jahre jedenfalls liebt ihn nicht. Warum sollte sie auch? Die Millionärstochter den Luftikus. Es war eine unmögliche Liebe. Ergo blutete ihm das Herz aus tief geheimen Wunden.
Aber – er macht, wie's im Gedichte heißt, aus seinen großen Schmerzen die kleinen Lieder.
Die erotische Ablehnung, die der arme Vetter aus Düsseldorf in der Hamburger Elbvilla
erfährt, war eine soziale. Also – Huren. Die kennt er in allen Städten, mit denen klappt es auch, freilich mit schweren körperlichen Folgen. Die Krankheit der glücklichen Männer, also Lues, war es, woran er sich schon als Student zweimal infiziert hatte.
Ein Ausweg scheint Mathilde zu sein, die er 1841 heiratete, ein Bauernmädchen aus der Provinz, blutjung und schönhüftig, wie er schreibt, eine wilde, nicht domestizierbare Katze, für deren Bildung er Unsummen Geldes ausgab, ohne Erfolg, sein süßes dickes Kind, das mit 35 Jahren 180 Pfund wog, und ihm Glück, Qual und Seligkeit in entsetzlicher Mischung bereitete.
Neue Genossen
Am 10. Dezember 1835 ein anderer Schrecken. Der Deutsche Bundestag fasste den Beschluss, seine Werke und die einiger Kollegen zu zensieren. Seine Reaktion darauf sind die „Zeitgedichte”, 1844 erschienen, wozu die berühmten „Schlesischen Weber” gehören.
Die 48iger Revolution kündigt sich an und gebiert „Freiheitssänger”, die mit viel Tendenz und ein bisschen Reim dazu ... Politische Stänkerreime produzierten.
Heine mochte das nicht. Campe, sein Verleger, wollte so was haben.
Dass Heine sich darauf einließ, hatte zu tun mit seinen neuen Genossen, mit denen er ein neues Schiff bestiegen hatte wie er es in „Lebensfahrt” beschreibt. Ferdinand Lassalle war der eine, den er fast vergötterte. Und Arnold Ruge, Friedrich Engels und Karl Marx, seit Beginn der 40iger Jahre wie er im Pariser Exil, waren die anderen.
Zehn Jahre zuvor schon hatte ihn die Genussreligion der Saint-Simonisten begeistert, was anhielt bis zu den Zuckererbsen im „Wintermährchen”. Jetzt schloss sich für ihn der Bogen zu den frühen Theorien der Kommunisten, die er dann 1843 für die einzige Parthey in Frankreich halten wird, die eine entschlossene Beachtung verdient. Und die Beachtung beruhte auf Gegenseitigkeit. Engels nannte ihn den hervorragendsten unter allen lebenden deutschen Dichtern und übersetzte schnellstens die „Schlesischen Weber” ins Englische.
Mit Deutschland hat er seine Probleme. Prophetisch sieht er voraus, wie dieses Land in Zukunft mit anderen umgehen wird.
So schreibt er dann 1844 als seinen eingehendsten und brisantesten Beitrag zur Deutschland- und Preußendiskussion das wichtigste seiner Werke „Deutschland. Ein Wintermährchen”. Ein Haftbefehl folgt, und er plant nun, auch in der Fremde seine Tage zu beschließen. So werden die schönen Utopien, die das „Wintermährchen” enthält, sehr zweifelhaft und traurig beendet: O, wir armen Kämpfer ... Die Glut des Sonnenaufgangs wird unsre Wangen nicht mehr röthen und unsre Herzen nicht mehr wärmen können, wir sterben dahin wie der scheidende Mond. Und doch, obwohl er wusste, wie viel gegen eine Volkwerdung der Freyheit sprach, sehr viel in Krähwinkels Schreckenstagen, immer wieder Fragen: Werden wir endlich von unseren Eichenwäldern den rechten Gebrauch machen, nämlich zu Barrikaden der Welt?
Er wäre nicht überrascht gewesen, dass die Nazis ihn die Judensau auf dem Montmartre nannten, und heute schon wieder nennen?
Er wusste, dass er das von ihm besungene Himmelreich auf Erden nicht erleben würde.
Aber er hielt, trotz großer Angst vor einem Proletarier-Regime, das seine Lorbeerwälder umhacken und darauf Kartoffeln pflanzen wird, den Kommunismus historisch für unabwendbar und konnte also sagen:
Gesegnet sey der Krautkrämer, der einst aus meinen Gedichten Tüten verfertigt, worin er Kaffee und Schnupftabak schüttet für die armen alten Mütterchen, die in unserer heutigen Welt der Ungerechtigkeiten vielleicht eine solche Labung entbehren müßten.