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Laudatio anlässlich der Verleihung des Preises für Solidarität und Menschenwürde an Gina Pietsch am 17. Juni 2018

Ellen Brombacher

Am 19. Februar fand in diesem Raum zur Erinnerung an den vor 75 Jahren in Stalingrad erfochtenen Sieg der Roten Armee eine Veranstaltung statt. Begonnen hatte das Treffen um 18 Uhr und dauerte – ohne Pause – bereits etwa drei Stunden an, als Gina Pietsch gemeinsam mit Tochter Frauke die Bühne betrat. Ich hatte zuvor zunehmend unruhiger zu Gina hinübergeschaut und fragte mich: Wie will sie noch einmal die Aufmerksamkeit der häufig nicht mehr jungen Anwesenden erlangen? Es ist spät, es ist dunkel. Und so manchem steht noch ein längerer Heimweg bevor.

Bei den ersten Worten Ginas war es noch unruhig. Dann das erste Lied: Wladimir Majakowskis großartiger Linker Marsch. Schlagartig wurde es still. Wie ist so etwas möglich? Ist es „nur” Ginas Stimmgewalt, die Kunst ihrer Darstellung? Sind es „nur” die mit Klugheit und außerordentlichem Fleiß ausgewählten Texte, die sie allesamt auswendig vorträgt? Ist es „nur” die Professionalität, die makellose, geschliffene Perfektion – die das Maß an Arbeit und Anstrengungen hinter der scheinbaren Leichtigkeit und der realen Wärme des Auftritts verbirgt? Ist es das alles zusammen? Es ist – obwohl das fast nicht geht – noch mehr. Es ist, sagt Frauke, Ginas Mission. Sie sei der Kunst und ihren Überzeugungen verpflichtet. Bewunderung und Beifall erfreuten sie natürlich. Aber beides zu erlangen sei nicht Ginas primäre Motivation. Sie brauche das Gefühl, alles getan zu haben, was man irgend tun könne. Das mache ihre Wahrhaftigkeit aus; das empfände sie als ihre Berufung, so Frauke, die mit ihr auf der Bühne steht und mit ihr das Lampenfieber und den Erfolg teilt. Stolz ist Gina auf die Tochter, so wie die Tochter auf die Mama. Wer Ginas Biografie gelesen hat, weiß auch um die Steine auf dem Weg zu solchem Glück.

Mein Dörfchen Welt – nennt Gina ihren Lebensbericht. „Sie hat den Mut”, schreibt ihre Freundin Heidrun Hegewald, „eine Erzählsprache zu wählen, die geeignet ist, dieses unerhörte Tempo ihrer Erzählkette zu tragen”. Sabine Kebir in der Jungen Welt und Karlen Vesper im ND rezensieren die Biografie mit annähernd wortgleichen Überschriften: „Die große Brechtinterpretin Gina Pietsch hat ihre Erinnerungen verfasst”. Zweifellos ist sie eine Große. Dass sie keinerlei Starallüren hat, unterstreicht das nur. Noch einmal Frauke: ”Sie misst sich an jenen, die kein Aufhebens machen. Das Anliegen ihrer Kunst ist ihr zu kostbar, als dass sie es durch Gewese entwerten würde.” Vielleicht passt, wenngleich es mit ihrer Kunst nicht direkt zu tun hat, hier am besten, zu erwähnen, dass sie mit ihrem Gerd wie selbstverständlich beim Ostermarsch dabei ist, am 1. Mai, bei der Fiesta de solidaridad, bei Antinazi-Aktionen oder bei den Ehrungen der Befreier am 8. Mai. Dass sie aktiv ist in der VVN/BdA. Antifaschismus ist ihr ein Herzensbedürfnis und tagtäglich mehr zwingende politische Notwendigkeit in einem.


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Preisrede von Gina Pietsch

Liebe Freunde, Genossen, Kameraden, Kollegen, liebe Gäste,

„ich stehe heute bei dieser Preisverleihung das erste Mal an einer Stelle, die ich nie erwartet hätte. Bisher durfte ich singen bei der Verleihung dieses wichtigen Preises u.a. an Täve Schur, Raul Castro, Annette Groth, Sewim Dagdelem, Günter Pappenheim, heute Hans Reichelt. Und, wenn ich mich mit all denen vergleiche, weiß ich wirklich nicht, womit ich den Preis verdient habe. Ich wüsste einige, die ich mir gut und eher hier hätte vorstellen können, meine Laudatorin Ellen Brombacher beispielsweise. Und sie ist nicht die einzige. Da ich nun aber ausgesucht und vorgeschlagen bin von Menschen, die ihr Herz, ihr Kopf, ihr Wissen und ihre Haltung unantastbar machen, sage ich danke und nehme mit großer Rührung und Ehrerbietung diesen beneidenswert schönen Preis an.

Preise verpflichten, wie jeder weiß, ich aber weiß nicht, ob ich dieser hohen Verpflichtung standhalten kann. Eigentlich weiß ich nur eins: meine Haltung zu dieser großen, wie Brecht es gerne nannte „dritten Sache”, also dem Kampf gegen eine Gesellschaft der Ausbeutung, für eine sozialistische, wenn auch ich diese nicht mehr erleben werde, diese Haltung habe ich im Elternhaus, in Schulen, Hochschulen und Unversitäten der DDR gelernt, nie vergessen und bin auch nicht gewillt, sie in meinem Leben noch vergessen machen zu lassen. Gerade Letzterem, dem Vergessen-machen-Lassen eines großen Experiments im Sinne der Unteren, muss jeden Tag standgehalten werden. Und sage mir keiner, dass das immer leicht ist.


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