Gina Pietsch im Interview

Unbequem und beneidenswert mutig

Chansonnière Gina Pietsch feiert den 85. Geburtstag von Mikis Theodorakis

Seine Songs gingen als Volkslieder um die Welt. Im Film „Alexis Sorbas” tanzt Anthony Quinn seinen Sirtaki. Am 29. Juli wird der griechische Komponist, Dichter und Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis 85 Jahre alt. Die Chansonnière Gina Pietsch hat aus diesem Anlass ein Programm mit seinen Liedern zusammengestellt.

ND: Frau Pietsch, sprechen Sie griechisch?
Pietsch: Leider nicht, aber ich lerne schnell, wie eine andere Sprache klingt. Und ich weiß bei jedem Wort, was ich singe – also kann ich es auch gestalten. Ich singe nur sechs Theodorakis-Lieder auf Griechisch. Von den übrigen existierten einige schon auf Deutsch; und mein Freund Frank Viehweg hat zwölf weitere für mich nachgedichtet. Er ist ein guter Nachdichter und versteht, die Lieder singbar zu machen, da er selbst Liedermacher ist.

Seit wann beschäftigt Sie die Musik von Theodorakis?
Grundsätzlich schon seit 40 Jahren. In der DDR wurde er sehr viel aufgeführt. Theodorakis sagte selbst, kein Land der Welt habe so viel für seine Musik getan. Einmal durfte ich beim Festival des Politischen Liedes vor einer Uraufführung aus seiner Autobiografie vorlesen und ihn auch kennen lernen. Natürlich war ich furchtbar ehrfürchtig: ein weltberühmter Mann, der obendrein 1,94 Meter groß ist!

Heute hört und liest man wenig von ihm.
Da haben Sie Recht. Ich habe schon vor einigen Jahren festgestellt, dass meine Schüler an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch” mit dem Namen Theodorakis gar nichts anfangen können. Als angehende Schauspieler! Aber wenn einer aus der linken Ecke kommt, muss er wohl noch mehr Weltruhm besitzen, um weiter in den Medien vertreten zu sein. Ich wollte ein bisschen dagegen angehen, dass der berühmteste griechische Komponist so schnell vergessen wird. Und so ist mein Theodorakis-Abend entstanden.

Geht es da zu wie bei einem herkömmlichen Liederabend?
Zwischen den Liedern erzähle ich aus dem Leben von Theodorakis. Das wird natürlich kein Abend, bei dem man sich auf die Schenkel klatschen kann. Die meisten Lieder, auch die tänzerischen, haben etwas Trauriges. Und natürlich gibt es kein unpolitisches Lied, nicht mal unter den Liebesliedern. Das hat natürlich mit dem zu tun, was die Griechen erlitten haben. Von der Zeit der Hellenen bis 1974 – mit der kleinen Einschränkung zwischen 1960 und 1967 – konnten sie sich nur selten frei fühlen.

Worin liegt die Aktualität der Lieder?
Was die Griechen an Faschismus erfahren haben, macht sich derzeit nicht nur in Europa wieder breit. Die Lieder, die Teil des Kampfes gegen den Faschismus sind, haben also auch mit unserer Geschichte und leider auch Gegenwart zu tun. Und wir sind mit den Griechen doch nicht nur wegen irgendwelcher schmutziger Bankgeschäfte verbunden. Wir essen gerne in griechischen Kneipen und machen auf den Inseln Urlaub. Und weder hier noch dort geht das ohne die griechische Musik.

Viele Lieder Ihres Programms stammen aus den Sechzigern. Warum?
Theodorakis hat etwa 2000 Lieder geschrieben, über seine gesamte Lebensspanne. Aber die Jahre zwischen 1961 und 1967, bevor die Junta anfing, hielt er für seine produktivste Zeit. Damals entstanden die größten Liederzyklen und seine wichtigsten Filmmusiken. Er erlangte Weltruhm, was die Junta freilich nicht abschreckte, ihn wiederholt einzusperren.

Woher stammt der Titel Ihres Programms »Weil ich mich nicht den Gesetzen beugte«?
So heißt eines seiner wichtigsten Lieder. Er schrieb es während der Junta-Zeit im Konzentrationslager Oropos. Damals war er schon viele Male im Knast gewesen und furchtbar gefoltert worden. Jeder andere in seiner Lage hätte sich unauffällig zurückgehalten. Theodorakis aber hat die Beschwerden seiner Mitgefangenen aufgeschrieben, mit seinem Namen unterzeichnet und bei der Lagerleitung abgegeben. Er erhielt den Zettel zurück mit dem Stempel: „Abgelehnt wegen Nichtbefolgung der Vorschriften”. Das ist der Liedtitel, nur etwas anders übersetzt.

Das kann wohl auch als sein Lebensmotto gelten.
Theodorakis hat immer seine Meinung gesagt. Ob gegen deutsche oder italienische Nazis, die eigene Junta oder die Stalinisten. Letzteres brachte ihm auch in der DDR für ein paar Jahre Aufführungsverbot ein. Theodorakis ist immer unbequem und beneidenswert mutig gewesen. Und davon erzähle ich in meinem Abend.

Hat die Sängerin Maria Farantouri Sie inspiriert, die große Muse von Theodorakis?
Maria inspiriert jede Sängerin. Besonders, wenn sie sich mit Theodorakis beschäftigt. Sie ist seine wichtigste Interpretin. Natürlich kann und will ich nicht singen wie die Farantouri. Ich komme aus der Brecht-Schule und bin gewohnt, an der Umsetzung der Sprache in Gestus zu arbeiten. Lange dachte ich, ich könnte gar nicht Theodorakis singen, denn seine Lieder setzen auf die große Melodie. Ich versuche also, mich dieser sehr anderen Gesangskultur in Demut zu nähern und gleichzeitig mir selber treu zu bleiben.

(Fragen: Antje Rößler, Interview im Neuen Deutschland)